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E-Mobilität Sinnbild - Copyright VadimGuzhva @ fotolia.com

Elektromobilität – Das Comeback der Zulieferer

Die Zulieferbranche der Automobilindustrie ist im Umbruch. „Im Einkauf liegt der Gewinn“ ist ein wichtiger Grundsatz in der Materialwirtschaft der Industrie. Entsprechend wurde neben den steigenden Entwicklungs- und Qualitätsanforderungen an die Zulieferer der Druck auf der Kostenseite kontinuierlich ausgebaut. Große Stückzahlen in hoher Qualität zu definierten Kosten zu liefern, ist eine originäre Hauptaufgabe. Darüber hinaus wurden bei den Zulieferern kontinuierlich die Entwicklungsabteilungen ausgebaut und komplette Lösungen und fertige Baugruppen vor allem im Bereich der Elektromobilität entwickelt. Die Zulieferer haben in den letzten Jahren ihre Baukästen deutlich erweitert. Ein Blick auf das neue Selbstbewusstsein.

„Der Durchbruch kommt nicht mit selbsternannten Pionieren“, sagte VW-Chef Müller öffentlich auf der Auftaktveranstaltung der IAA 2017. Ein Rückblick auf die IAA 2017 offenbart ein deutliches Manko: Kein etablierter Hersteller kann mittelfristig ein serienreifes günstiges Elektroauto anbieten. Dagegen bieten die großen Zulieferer wie Bosch, ZF, Borg Warner oder Mahle schon komplette Ansätze bis hin zu kompletten Lösungen an. Die alleinige Macht der Hersteller im Fahrzeugbau verschiebt sich in Richtung der weiteren Wettbewerber. So zeigte Bosch eine komplette E-Achse, die Elektromotor, Leistungselektronik und Getriebe in einer Komponente vereint. Da bedarf es nur noch einer Idee für das Elektroauto und die Zulieferer bieten maßgeschneiderte Lösungen für die neu gegründeten Startup-Unternehmen an, die sich weltweit etablieren. Die am Markt eingesessenen Hersteller sparen sich die aufwendigen Entwicklungszeiten und -kosten, aber auch die neuen Pionierunternehmen profitieren von den Baukästen. Neu ist nämlich, dass diese Komponenten nicht den Global-Playern exklusiv angeboten werden, sondern auch in kleineren Abnahmemengen an die neuen Anbieter. Das bietet der Zulieferbranche eine neue Freiheit.

Die Auslagerung der Entwicklungsabteilungen von der Industrie hin zu den Zulieferern ergibt ganz neue Entwicklungspotenziale. So bietet zum Beispiel die Firma Schaeffer einen kompletten Radnabenantrieb für urbane elektrische Fahrzeuge an. Hierbei wurden alle Komponenten zum Antrieb und Bremsen in eine Radnabe implementiert. Die Vorteile im Einbau sind vor allem ein erhöhter Nutzraum für das Fahrzeug und die Nutzung der Fahrdynamik des Torque-Vectoring bei Kurvenfahrten. Torque-Vectoring – auch „Vector-Drive“ oder „Dynamic Performance Control“ genannt – bezeichnet eine Antriebsfunktion, bei der jede Achse oder jedes einzelne Rad durch einen separaten (Elektro-)Motor angetrieben wird. Bei Hybridfahrzeugen kann das Torque-Vectoring-System so eingesetzt werden, dass der Elektromotor die Hinterachse beschleunigt, während der Verbrennungsmotor an die Vorderachse gekoppelt ist, sodass eine Allrad-Funktion entsteht (AxleSplit). Bei Elektrofahrzeugen kann das Torque-Vectoring für eine höhere Rekuperation sorgen, da das Rekuperationsmoment in Kurven individuell eingestellt werden kann.

 

Auch andere Hersteller setzen auf eigene Lösungen: Bosch präsentierte auf der IAA das System „eAxle“. Hierbei handelt es sich um ein elektrisches Achsantriebssystem, das erstmals auf der nordamerikanischen Autoshow in Detroit dieses Jahr vorgestellt wurde. Der Antrieb soll dem Markt für Elektrofahrzeuge einen weiteren Schub geben. Noch besteht ein Antriebsstrang aus einzelnen Komponenten. Bosch hat aber mit seinem eAxle ein System entwickelt, welches Getriebe, E-Maschine und Leistungselektronik als ein Modul in einem kompakten Gehäuse vereint. Dadurch soll die Komplexität des Antriebs deutlich vereinfacht und ein Fahrzeug deutlich günstiger gemacht werden, da bei der Herstellung auf viele Kabel, Stecker, Dichtungen und Lager verzichtet werden kann. Ein Kostenvorteil von bis zu 10  Prozent könnte so durch das Modul erzielt werden. Interessant an beiden Lösungsansätzen ist die Integration des Motors. Ein Kernbaustein des Autos liegt also nicht mehr in der Hand der Automobilhersteller.

Damit einher geht die Entwicklung, dass nicht mehr exklusiv für die Großindustrie gefertigt wird, sondern auch in geringeren Stückzahlen an kleinere Unternehmen und Neueinsteiger im Sektor Elektromobilität geliefert wird. Diese müssen keine Investitionen mehr in die Neuentwicklung tätigen, sondern sie können ihre Kernkompetenz in den innovativen Fahrzeugbau setzen. Bei den neuen Anbietern finden sich dann häufig Fahrzeuge, die leichter sind und mit neuen Lösungsansätzen an der ursprünglichen Idee der Mobilität anknüpfen, Personen zu befördern.

Die Mildhybridvarianten und eigene Antriebe

Ab 60 V spricht man beim Bordnetz eines Autos von der Hochvolttechnik. Diese implementiert besonders für Werkstätten eine besondere Vorsicht bei der Arbeit am Fahrzeug. Beim 48-V-System handelt es sich dagegen um ein Niedervoltsystem, für das deutlich geringere Sicherheitsstandards gelten. In üblichen Benzin- und DieselFahrzeugen eingesetzte 12-V-Antriebe können einen kleinen Teil der Bremsenergie gewinnen und damit den Blei-Akku laden, was nur der Stromversorgung an Bord zugutekommt. Im Gegensatz dazu kann die gewonnene elektrische Energie eines 48-V-Systems in einem Lithium-Ionen-Akku gepuffert und dann nicht nur für elektrische Nutzer im Auto, sondern auch für den Antrieb genutzt werden. Durchschnittlich können bis zu 18 Prozent Kraftstoff durch diese Bremsenergierückgewinnung gespart werden. Hier gibt es schon Komponenten-Lösungen: zum Beispiel als Ersatz für die konventionelle „Lichtmaschine“ eine vom Riemen angetriebene kombinierte Rekuperations- und Boost-Maschine von der Firma Bosch. Dieser Generator kann Bremsenergie in elektrische Energie umwandeln und ermöglicht vier Funktionen: Rekuperation, Segelbetrieb, Drehmomentunterstützung und ein effizientes Start/Stoppsystem. Zusätzlich kann ein Inverter die Energie für elektrische Energie an Bord nutzen.
Darüber hinaus gibt es komplett eigene elektrische Antriebsstränge, die den neuen Playern im Elektroauto-Sektor zur Verfügung gestellt werden.
So nutzt das Startup e.Go einen Elektroantrieb von Bosch, der abgestimmt aus mehreren Bauteilen aufgebaut wurde. Aus einem Lithium-Ionen-Akku, einem luftgekühlten Elektromotor, dem Steuerungsgerät, der Leistungselektronik und einem Display von Bosch wurde ein einfaches Elektroauto erstellt. Der Akku kann zurzeit aus 6 oder 8 Elementen mit jeweils 2,4 kWh Kapazität zusammengesetzt werden. Mit knapp 41 PS (30 kW) erreicht der kompakte 2+2-Sitzer etwas mehr als 100 km/h Höchstgeschwindigkeit und circa 100  Kilometer Reichweite. Ab März 2018 ist der Verkauf für 15.900 Euro geplant; bei einem Umweltbonus von 4.000  Euro würde es noch 11.900 Euro kosten. Der Preis lässt sich vor allem aufgrund eingesparter Entwicklungskosten erzielen.

Die Zulieferer und die neuen Player am Markt

An diesem Beispiel zeigt sich, dass die Eintrittsbarrieren in die Autoproduktion mithilfe der einfachen elektrischen Antriebssysteme erheblich gesunken sind. Der Bosch-Geschäftsführer Markus Heyn sieht die Gründe in einer anderen, viel einfacheren und genauso sicher aufgebauten Architektur. Das frühere Metronom eines Autos aus Motor, Getriebe und Antriebswellen sind im Elektroauto nur Bauteile unter anderen Komponenten. Mobilitätskonzepte mit App-Anbindung stehen in der nahen Zukunft im Fokus der Käufer. Das ist die Chance der Zulieferindustrie, die schon jetzt die neuen Start-ups als feste Geschäftspartner der Zukunft sehen. Ein vergleichbares Beispiel hat sich schon längst am Markt etabliert. Das klassische Fahrrad – erweitert um den Elektroantrieb – bewegt sich seit wenigen Jahren in einem stark ansteigenden Marktsegment. Als E-Bike oder Pedelec drängen hier neben traditionellen Herstellern viele Neueinsteiger in den Markt.
Ebenso ist die Wiederbelebung historischer Marken, die schon eine eigene Tradition aufweisen, ein zu beobachtender Trend. Die Wiederbelebung traditioneller Marken mit einem abgasfreien Antrieb kann bereits beobachtet werden. Von der Firma Govecs wurde im Jahr 2016 ein Remake des Designklassikers der DDR-Kultmarke Schwalbe-Roller kombiniert mit einem Elektroantrieb von Bosch präsentiert.

Fazit

Die Eigendynamik in der Entwicklung der Elektromobilität verändert die mobile Infrastruktur und das Wesen des Autofahrens. Damit einher geht der Trend, dass die dynamische Entwicklung von Bauteilen und kompletten Antriebseinheiten von der Zulieferindustrie getragen wird. Langfristig verschieben sich damit die Kräfteverhältnisse zwischen den Autoherstellern und Zulieferbetrieben. Diese übernehmen die bisher originäre Aufgabe der Automobilhersteller, das Herz des Autos, Motor und Antrieb, als Baukastensystem anzubieten. Damit wird die Wiederbelebung historischer Marken oder die Neugründung von Automobilmarken vereinfacht. Insofern ist der Kern der Aussage vom damaligen VW-Chef Müller nur zu bestätigen. Der Durchbruch kommt nicht von selbsternannten Pionieren; er kommt von traditionellen Zulieferbetrieben mit einem neuen Selbstbewusstsein als ernsthafte Konkurrenz zu den Automobilherstellern.

Addendum 

Artikel aus dem green car magazine 2018.

Titelbild: E-Mobilität Sinnbild – Copyright VadimGuzhva @ fotolia.com

Quellen: Videos Bosch, Schaeffler, e.Go, Schwalbe

Herstellerlinks:

https://www.bosch-mobility-solutions.de/de/

https://www.schaeffler.de/content.schaeffler.de/de/produkte-und-loesungen/automotive-aftermarket/index.jsp

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N. Hagedorn
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