Die Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure (WLTP), das heißt ein weltweit harmonisierter Zyklus für leichte Fahrzeuge, tritt schrittweise ab September dieses Jahres in Kraft. Der neue Prüfzyklus zur Emissions- und Verbrauchsmessung löst den schon lange in der Kritik stehenden Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) ab, welcher für das durchschnittliche Fahrverhalten als nicht repräsentativ genug kritisiert wird. Der neue WLTP soll realitätsnaher sein und das Fahrverhalten eines Fahrzeuges dynamischer und reproduzierbarer abdecken als sein Vorgänger. Doch ist er auch realitätsnah genug?
Dass die tatsächlichen Verbrauchswerte eines Fahrzeuges meist über den vom Autohersteller angegebenen Werten liegen, ist keine Neuigkeit mehr. Schuld daran ist der 1996 eingeführte NEFZ. Das Ziel der Einführung eines solchen Fahrzyklus war es, eine einheitliche Ermittlung der fahrzeugspezifischen Emissionen sowie des Verbrauches zu ermöglichen – und dabei Fahrzeuge bestmöglich miteinander vergleichen zu können. Die Wiederholbarkeit des Messverfahrens sollte weltweit bei korrekter Messprozedur das gleiche Testergebnis erzielen. Doch schon bei seiner Entwicklung war der NEFZ nicht realitätsnah: Der Fahrzyklus wird rein auf dem Rollenprüfstand gefahren – eine echte Straße bekommt das Fahrzeug bei der Messung nicht unter die Räder. Auch die Umgebungstemperatur liegt fern von realen Werten: Bei erlaubten 30 °C sind deutlich bessere Verbrauchswerte zu erwarten als bei „normalen“ Umgebungstemperaturen (Zum Vergleich: Die Mitteltemperatur in Deutschland betrug 2016 9,5 °C; die Zahl an sogenannten „heißen Tagen“ ab 30 °C Temperatur beläuft sich auf gerade einmal 9 Tage.). Beim neuen WLTP wird die Umgebungstemperatur auf maximal 23 °C gesenkt, was den realen Temperaturen schon deutlich näher kommt; eine echte Straße befährt das Fahrzeug während des Test aber auch weiterhin nicht, denn auch im neuen Zyklus wird rein auf dem Rollenprüfstand gemessen.
Vergleich vom NEFZ und WLTP im Video
Um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen, wurde im bisherigen NEFZ-Test ordentlich (legal!) getrickst: Ein deutlich erhöhter Reifenluftdruck war während des Tests genauso zugelassen wie eine Anpassung der Radgeometrie. Zudem wurde ein minimales Fahrzeuggewicht geprüft und die Fahrzeugbatterie während des Zyklus nicht nachgeladen. Eine Anpassung der Motorsteuerung war ebenso erlaubt wie ein Abzug von 4 Prozent Toleranz auf den Messwert. Auch beim neuen WLTP-Zyklus werden wohl einige dieser fragwürdigen, aber legalen Tricks wie ein erhöhter Reifendruck und die Anpassung der Motorsteuerung weiterhin zur Anwendung kommen.
Ein zu hoher Stadtverkehrsanteil von 13 Minuten, nur knapp 7 Minuten Überlandfahrt und viel zu geringe Beschleunigungen in Bezug auf moderne Fahrzeuge zeigen, wie veraltet der NEFZ letztendlich ist. Für die Beschleunigung von 0 auf 50 km/h stehen den Fahrzeugen im NEFZ 26 Sekunden zur Verfügung: Werte, die schon vor Jahren nicht mehr zeitgemäß waren. Beim neuen WLTP-Verfahren beträgt die Zykluszeit nicht nur 20, sondern 30 Minuten. Und mit 23,25 statt der bisherigen 11 km hält eine mehr als doppelt so weite Zykluslänge Einzug. Auch die Höchstgeschwindigkeit wird beim neuen Prüfzyklus erhöht: 130 statt 120 km/h. Eine mittlere Geschwindigkeit von 46,6 km/h statt 34 km/h und stärkere Temposchwankungen sollen dabei helfen, den Verbrauch im realen Verkehr besser abzubilden. Insgesamt wird nun in vier Phasen gemessen: bis 60, 80, 100 und über 130 km/h. Auch der Standzeitanteil ist mit 13 Prozent fast nur noch halb so hoch wie bei der Messung nach NEFZ (25 Prozent).
Klimaanlage wird außer Acht gelassen
Erstmals wird in dem neuen Verfahren auch der Einfluss von Sonderausstattungen auf das Gewicht, die Aerodynamik und den Bordnetzbedarf (Ruhestrom) berücksichtigt. Die für den Verbrauch eigentlich wesentliche Klimaanlage wird allerdings hier wieder außer Acht gelassen. Im NEFZ waren die Schaltpunkte für Schaltgetriebe in Abhängigkeit der Geschwindigkeit vorgegeben; beim WLTP-Zyklus besteht nun die Möglichkeit, früher in höhere Gänge zu wechseln.
Die Fahrzeuge werden beim WLTP in drei Klassen unterschieden, die vom Leistungsgewicht des Fahrzeuges abhängen, wobei die meisten Fahrzeuge in Deutschland in die 3. Klasse fallen werden. Plug-in-Hybride, Vollhybride und reine Elektrofahrzeuge werden nun gesondert in einer eigenen Klasse bewertet. Die Kriterien für die Bewertung dieser Hybriden bzw. Elektrofahrzeuge werden unter anderem die rein elektrische Reichweite, die rekuperierte Energie, der Kraftstoffverbrauch (Hybride) oder der CO2-Ausstoß sein.
Eine Schwäche des neuen Fahrzyklus: Kleinwagen werden wohl realitätsnäher bewertet; Modelle mit großvolumigen Motoren können dafür besser abschneiden. Das liegt vor allem daran, dass die kleinen, leistungsärmeren Motoren bei höheren Geschwindigkeiten (130 km/h) und schnellen Beschleunigungen stärker gefordert sind als leistungsstarke Motoren, welche dann in einem für sie günstigen Wirkungsgrad laufen und dabei verbrauchsärmer sein werden.
Addendum:
Artikel aus dem green car magazine Ausgabe V / 2017
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